Gemeinderäte haben es nicht leicht. Monatlich kommt per Eilzustellung ein kiloschweres Paket ins Haus, das gelesen werden will. Tatsächlich ist das in Biberach noch so: Papier rulez! Gut. jedes Ratsmitglied hat ein Tablet (I-Pad) – und theoretisch braucht man den Papierkram doch nicht wirklich… Aber – und das ist noch wichtiger – gelesen werden muss das Zeug (die Vorlagen) in jedem Fall. Sollte. Müsste. Könnte.
Nun sind Gemeinderäte ehrenamtlich unterwegs und häufig nicht arbeitslos, oder Rentner und selbst wenn, dann haben sie oft noch Anderes zu tun. Böse Zungen sehen dann noch die Schwierigkeit, dass viele Räte nicht unbedingt aus altruistischen Gründen ihre Ämter füllen: Teilweise mag da auch ein gewisses Geltungsbedürfnis mitschwingen. Es geht auch darum, sich in Szene zu setzen und Eigeninteressen zu vertreten.
Und damit kommen wir zu einem grundsätzlichen Problem dieser Konstellation, das sich monatlich zu fast jeder Ratssitzung zeigt. Der Gemeinderat reagiert in der Regel auf die Stadtverwaltung. Vorlagen geben sowohl Richtung wie auch Denkanstöße vor. Und diese Vorlagen kommen nicht unbedingt vom Rat, sondern eben häufig aus der Verwaltung, oder vorgeschalteten Gremien (Haupt-, Bau-, Sonstiger- Ausschuss) in denen die Verwaltung oft die Lenkung innehat. Es fehlt dem Gemeinderat an Visionen – nur dafür gibt’s eigentlich auch gar keinen Freiraum, oder einfach zu wenig.
Plädiert Gaspard nun für den Drogenmissbrauch im Gemeinderat? Natürlich nicht. Und dennoch sollte man vielleicht mal darüber nachdenken, hier was zu ändern. Eine Lösung habe ich spontan nicht. Aber schauen wir uns doch mal ein typisch hausgemachtes Problem an: Das Ulmer Tor.
Drohender Unbill im Sinne des „schiefen Turms“ fällt nun wahrlich nicht vom Himmel. In der vergangenen Woche musste der Gemeinderat eine Rettungsaktion des Ulmer Tores beschließen. Ja das wird wieder ein paar Millionen Euro kosten. Kollege Gerd Mägerle widmet der Geschichte in der schwäbischen Zeitung einen längeren Artikel – zu Recht. Nun konnte man natürlich nicht absehen, dass es dem Ulmer Tor wie dem schiefen Turm von Pisa ergehen könnte… Oder? – Doch – wäre absehbar gewesen.
Dass Biberach eine verkappte Version einen klitzekleinen Venedig ist, weiß man eigentlich schon sehr lange. Spätestens bei der Notsanierung des Biberacher Rathauses Ende der achtziger Jahre wurde das zumindest im Bauamt klar. Wir erinnern uns: Plötzlich hieß es, das Rathaus sei einsturzgefährdet. Wie das? – Eichenpfähle, die das Fundament des Gebäudes am heutigen Mathias Erzberger Platz bilden, fingen plötzlich an zu faulen. Überraschend. Warum nur? Ganz einfach, ständige Grundwasserabsenkungen sorgten dafür, dass die Pfähle trockengelegt wurden. Einer der Gründe dafür, war zum Beispiel der Bau der Tiefgarage Viehmarktplatz. Naja sagen wir mal so: Dass das Auto wichtiger ist als manches andere wissen wir ja. Dass Biberach in der Innenstadt traditionell nur wenige richtige Keller hatte, wegen des hohen Grundwasserstandes im Risstal – das ist ja nun wahrlich nicht unsere Schuld, und muss man sich damit unbedingt befassen? He, wir bauen fortschrittliche Kernkraftwerke, Stadthallentiefgaragen und 747 Passagierflugzeuge! Und im Bauamt glauben wir auch an dauerhaften Spannbeton, haltbare Brücken am Südbahnhof oder anderes. Hybris ist doch auch eine Art visionäres Denken. Aber sicher…
Zurück zum Ulmer Tor: Überraschend lange hat das Ulmer Tor den Angriffen auf seine Substanz widerstanden. Nun also sind auch dort endlich die Eichenpfähle am verrotten. Warum nur? Waren es die umgangssprachlichen „Spardosen“ der Sparkasse nebendran mit ihrem Keller? Oder der Bau von RSW? Möglicherweise der Häuserbau an der Zwingergasse: Da waren die notwendigen Grundwasserabsenkungen zum Bau der Häuser wohl so kräftig, dass das Ex-Haus von Julius Käsdorf und Musikdirektor Marx Risse bekam. Stichwort: Tiefgarage! Sowas trägt man halt heute. Auch gerne im Parkhaus Ost oder drumrum. Nun, was hat das nun aber mit Visionen zu tun?
Einiges. Würde man wirklich nachhaltig planen, nachhaltig nachdenken und auf Zeichen in der Gegenwart wirklich achten, müsste man nicht immer nur REAGIEREN. Vorausschauend bedeutet vorher nachzudenken, bevor man auf die heiße Herdplatte langt und nicht es einfach zu tun.
Natürlich ist auch dieser Artikel wieder besserwisserisch und unbequem. Ketzerisch. Natürlich. Trotzdem steht er hier und ist mit der Hoffnung verbunden, dass man sich in diesem Biberacher Gemeinderat in Zukunft visionärer verhält und sich nicht nur an Vorlagen einer Verwaltung entlanghangelt. Vorausschauend statt reparierend. Auch wenn es, wie im akuten Fall des Ulmer Tores, nicht mehr anders geht.