Vor nunmehr einem halben Jahrhundert habe ich am Wieland-Gymnasium Biberach/Riß mein Abitur gemacht. Und noch immer suchen mich hin und wieder Erinnerungen an die Schulzeit heim.
Verdanken tu ich meiner Schulzeit einen kleinen Schatz an tat-sächlich Wissenswertem und ein klein wenig Einüben von Denken und als Allerwichtigstes die Urkunde mit der Bestätigung meiner Hochschulreife. Denn die stellte den Freifahrtschein in eine damals -nämlich vor der Bologna-Reform– noch echte Bildungsoase, an die Uni, dar.
Das ist aber auch schon alles. Denn der ganze Rest des Schulbetriebs war und ist -nach allem, was ich höre- auch heute noch eine menschliche Katastrophe. Oder, um es klar und deutlich auszusprechen: Schule verletzt die Menschenwürde und ist so gesehen bullshit.
Nun musste ich meine Schulerfahrungen zwar am WG machen, aber diese oder zumindest sehr ähnliche Erfahrungen hätte ich wohl auch an jeder anderen Schule gemacht. Von daher ist meine Aus-einandersetzung mit diesem nur beispielhaft, insofern das WG bloß ein Vertreter für die Schule als solche ist. Und davon ab-gesehen ist mir auch vollkommen bewusst, dass auch all diese Schulen selbst mehr oder weniger bloße Opfer sind, nämlich die Sklaven der von der Schulpolitik vorgegebenen Rahmenbedingungen. Aber als deren freiwillige Knechte(1) sind die Schulen eben die naheliegendste und erste Adresse für die Anklage und Kritik, weil sie es ja sind, die als deren willfährige Vollstrecker den jungen Menschen all das – lebenslange – Leid aufbürden.
Um die Beschreibung und Analyse des Schulbetriebs mit dem Offensichtlichsten zu beginnen: In der Schule herrscht von vorne-herein eine asymmetrische zwischenmenschliche Beziehung von Lehrer/innen und Schüler/innen. Doch seit der Aufklärung sind wir unerschütterlich davon überzeugt, dass alle Menschen gleich und von Natur aus frei sind. Und dass diese Freiheit nur da endet, wo die Freiheit des Andern beginnt. Aber NUR da!
Schule aber ist Beraubung der Freiheit. Der/ Die Schüler/in darf sich während des Unterrichts ja nicht frei im Klassenzimmer bewegen und im Regelfall das Klassenzimmer auch nicht verlassen. Zudem darf er/sie die Grenze des Schulgeländes nicht übertreten. Wodurch die Schüler/innen im schulpflichtigen Alter zu gesetzmäßig unfreiwilligen Gefangenen der Schule werden und die nicht mehr schulpflichtigen Schüler/innen deren freiwillige Gefangene(1).
Sodann sind die Schüler/innen in der Schule genaugenommen bloße Dinge, denen von der Lehrerschaft in der Schulindustrie ein standardisierter Bildungsstoff eingetrichtert wird. Die Schü-ler/innen haben nur das aufzunehmen und zu verinnerlichen, was der Lehrplan fürs jeweilige Schuljahr und fürs jeweilige Fach vorsieht und was der/die Lehrer/in gerade vermitteln will. Was den/die Schüler/in als individuelle Persönlichkeit gerade brennend interessiert, wofür er/sie mit aller Leidenschaft seine ganze Zeit in der Schule mit all seinen Fragen, seinem Recherchieren und Nachdenken liebend gern opfern würde, das ist in der Schule niemals von Belang. Als Person ist der/die Schüler/in in der Schule nicht vorgesehen und er/sie wird dort auch nicht so behandelt.
Symptomatisch für dieses systematische Ausschalten der Schülerpersönlichkeit im Schulindustriebetrieb ist beispielsweise eine Aussage meines damaligen Mathematiklehrers: „Jürgen, Du gehst zwar immer eigenartige Lösungswege, aber Du kommst immer an.“ Das aber hatte er als eine leichte Kritik gemeint und keineswegs als ein Lob auf meine Kreativität. Schule also normt die Schüler/innen und will auch gar nichts anderes, als die Schüler/innen auf Linie zu bringen und so zu gehorsamen Staatsbürgern und gut einsetzbaren und verwertbaren Arbeitskräften abzurichten.
Und auch im Hinblick auf sein Beurteiltwerden ist der/die Schüler/in genau besehen letztlich nicht mehr als irgendein Industrieprodukt, das vermessen und damit bewertet wird. Der/Diejenige, welche/r den vorgekauten Wissensstoff am besten aufgenommen hat und als solchen möglichst genau zu reproduzieren vermag, dessen Leistung gilt als die beste und er/sie er-hält die beste Note. Zwar können Maschinen in ihren Leistungen gemessen werden oder müssen es sogar. Aber ein Mensch sollte niemals ausschließlich im Hinblick sowohl auf seine körperlichen als auch auf seine geistigen Leistungen vermessen und da-mit bewertet werden. Menschen sollten nämlich allenfalls hin-sichtlich ihrer moralischen Eigenschaften bewertet werden, also ob sie gute oder böse Menschen sind.
Fazit
Statt eine anregende geistige Tankstelle für Wissens- und Persönlichkeitsbildung ist das –begrenzte- Wirken der Schule also, dass sie die (sich) entfaltenden Persönlichkeiten der Schüler/innen zurechtstutzt, anpasst und damit/ so normiert.
Kurz: Schüler/in sein ist im herrschenden Schulsystem ein „bullshit job“ (2)
(1) Für Bildungssüchtige: Das ist eine Anspielung auf Étienne de La Boétie, Von der freiwilligen Knechtschaft des Menschen.
(2) Begriff von David Graeber
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